RE: Vorderdeck - 7

"Im Augenblick würde ich Ihnen da widersprechen - zumindest in unserem speziellen Fall." Dr. Bueno lächelte schmal. Ein wenig Smalltalk schien tatsächlich zu helfen, die Übelkeit zu verdrängen, vor allem solcher, der auch etwas mit ihrer Expedition zu tun hatte. Und wenn Delia Sanchez vor Ort gelebt hatte, hatte sie ja womöglich ganz andere Assoziationen für die Wegmarken zum Tempel!
"Ich stamme aus der Nähe von Primera, aber das ist wirklich nicht besonders interessant." Sie zuckte mit den Achseln. "Haben Sie als Kind auch Ausflüge in den Dschungel gemacht?" Die Hand, die das Reisetagebuch an ihren Bauch presste, lockerte sich, als Dr. Bueno das Buch auf ihre Knie rutschen ließ. Vielleicht warteten hier wertvolle Hinweise!

"Du darfst das Kielschwein beim nächsten Mal füttern", versprach Teo großzügig - auch wenn es sicher bedeutend witziger war, jemanden durch einen großen Tanker zu schicken, um das Kielschwein zu suchen, bis sich jemand erbarmte und den ambitionierten Tierfreund darüber aufklärte, wo das 'Tier' zu finden war.
Sie wandte den Blick nicht von Sébastien ab, sondern suchte in seiner Mimik nach dem Beweis, dass sie zu spinnen begann, wenn sie in seinen sicher harmlosen Scherzen einen Hinweis sah, dass da mehr war als ein Inkatempel, den er suchte. Die Selenisten hatten ihre Spuren gut verwischt; wer nicht zu ihren Kreisen gehörte, hatte vermutlich noch nie von ihnen gehört. Vielleicht war das bei Archäologen anders - aber sie sah sicher nur Schatten, wo es gar keine gab.
Betont gelassen zuckte sie mit den Achseln. "Geld ist nicht alles. In der Fischfabrik würde ich sicher das Dreifache verdienen, aber da würde ich am ganzen Körper nach Thunfisch stinken." Sie schüttelte sich bei der Vorstellung. Da war ihr Motorenöl doch wirklich lieber! "Außerdem bastle ich gern am Motor herum, und wir sind auch ein eingespieltes Team. Familienbetrieb und so.." Neugierig legte sie den Kopf schief. "Ist die Archäologie denn so toll, weil du damit so dick Kohle machst?"

Mit so einer Antwort hätte sie vielleicht rechnen müssen. Aber gut. Sie zuckte mit den Schultern. "Gut möglich." Warten wir es ab. Aber Spaß wird die Expedition auf alle Fälle machen.
Aus den Augenwinkeln nahm sie eine Bewegung wahr und sie entdeckte ein kleines Buch bei Mercedes Bueno. Was war das? Das ist etwas interessantes, worüber sie momentan mehr erfahren sollte. Sie griff nach einer Haarsträhne aus ihrem Pferdeschwanz und begann ihn sich um den Finger zu wickeln, während sie möglichst unschuldig aussah.
"Eher nicht." Log sie. "Ab und an mal in Begleitung eines Erwachsenen. Aber nie weit hinein. Ich durfte nicht. Es war - und ist es wahrscheinlich immer noch - zu gefährlich gewesen. Außerdem fand ich nach und nach andere Dinge interessanter und wichtiger." Sie zwinkerte Dr. Mercedes vielsagend zu.

"Hm", brummte Dr. Bueno enttäuscht. Natürlich war ein Dschungel kein Spielplatz; sie durfte ja auch gar nicht darüber nachdenken, was dessen Gefahren für ihre nächste Zukunft bedeuteten. Sie legte wenig Wert darauf, ihren Schlafsack mit Schlagen oder Giftspinnen zu teilen oder zwischen den Urwaldriesen jegliche Orientierung zu verlieren oder von einem Krokodil gefressen zu werden - da hätte sie ihre Kinder auch nicht im Dschungel spielen lassen. Aber vielleicht.. Dr. Bueno schlug ihr Reisetagebuch auf und suchte nach der zerlesenen Liste, die ihr nach kurzem Blättern in die Finger fiel. Vielleicht waren diese Zeichen ja gar nicht direkt in der Wildnis! In den letzten 500 Jahren konnte doch so ein Dorf auch irgendwo entstanden sein, wo früher einmal eine Wegmarke gewesen war!
"Aber Sie sind doch sicher mal am Fluss gewesen, an der Laete." Der Karte nach lag die Flussmündung zwischen ihrem Ziel und dem nächsten Dorf. "Oder Sie haben Geschichten von den Älteren gehört. Hat dabei jemand mal etwas erwähnt, das Ähnlichkeit mit einer großen Hand hatte?"

Delia beugte sich ein Stückchen nach vorne, um einen Blick auf das Buch und dessen Inhalt werfen zu können. Ihre Neugierde war geweckt - nicht nur die einer Selenistin, sondern auch die einer Entdeckerin. Wirklich viel konnte Delia allerdings von ihrer Position aus nicht sehen. Zudem Dr. Bueno sehr schnell eine Seite nach der anderen umblätterte und sie sich fragte, wonach sie suchte.
Sie zuckte mit den Achseln, als Antwort auf Mercedes Bueno's Frage. "Na ja, ich habe ab und an mal einen Fluss überquert." Eigentlich öfters einmal, aber etwas genaueres ging sie nicht an.
"Und für Kindergeschichten war ich damals schon zu alt, dafür habe ich mich nicht mehr interessiert." Sie grinste breit, ehe sie antwortete. "Aber große Hände gibt es." Eine kurze theatralische Pause. "Einige sogar. Ich kann ihnen gerne ein paar Männer mit großen Händen vorstellen. Ich wusste nicht, dass sie darauf aus sind." Zwinkerte sie ihr zu. "Sie wissen ja, große Hände, großer ... " Delia grinste noch einmal breit. Allerdings würde sie diesen Spruch nicht unterschreiben. Sie hatte auch andere Erfahrungen. Aber das gehörte nun nicht hierher.

Die Euphorie, die Dr. Bueno im ersten Moment verspürte, verpuffte mit einem Schlag, und ihre Miene wurde abweisend, während sich ihre Brauen finster über der Nasenwurzel trafen. "Senorita Sanchez. Falls Sie diese Fahrt mit einer postpubertären Vergnügensreise verwechseln, muss ich Sie enttäuschen. Von Zweideutigkeiten auf Schulhofniveau können Sie sich daher getrost für die nächsten Wochen verabschieden."
Andererseits konnte sie sich fast vorstellen, dass andere Expeditionsteilnehmer - unwillkürlich glitt ihr Blick über Delias Schulter und traf Lemaitre - auf diesem Niveau weitergefrotzelt hätten.
"Wie Ihnen hoffentlich bekannt ist, bemühen wir uns, eine Wegbeschreibung zu rekonstruieren. Wie um alles in der Welt sollte Ihre Bemerkung da hilfreich sein." Sie rümpfte die Nase. "Wenn Sie also nichts Konstruktives beitragen können, sagen Sie das einfach."

Delia verzog leicht das Gesicht. Hach ja, das hätte sie sich auch denken können. Sie hatte einige ihrer Vorlesungen besucht und hätte wissen müssen, dass die Doktorin keinen Spaß verstand. Schon da war sie immer sehr begeistert von dem was sie tat bzw. sprach. Im Grunde war das ja auch nicht verkehrt, sie mochte ihre Vorlesungen.
Sie zuckte mit den Schultern und blickte sie unbeeindruckt an. "Ja, ich weiß warum wir hier sind. Ich bin dankbar dafür, dass ich die Gruppe begleiten darf. Ich dachte nur, dass sie das vielleicht ein wenig ablenkt und lockert. Es war witzig. Und wie ich sehe hat es teilweise funktioniert." Sie lächelte ihrem Gegenüber freundlich und unschuldig zu. "Immerhin haben sie kurzzeitig vergessen, dass wir uns auf einem Schiff befinden. Wie auch immer...mir fällt auf Anhieb keine Hand ein. Vielleicht ist es ja ein Baum? Es gibt einige mit den verrücktesten Formen."

Dr. Bueno blinzelte, ohne dass es ihr Stirnrunzeln beeinträchtigt hatte. Hm. Wo sie Recht hatte, hatte sie Recht. Sie hatte tatsächlich die unangenehmen Nebenwirkungen ihrer Reise vergessen. "Bemerkenswert", murmelte sie, befeuchtete sich die Fingerkuppen und schlug eine leere Doppelseite auf, um ihre Liste darauf abzulegen und den Stift zu zücken, den sie von Lemaitre bekommen hatte. Sie musste beizeiten daran denken, ihn wieder zurückzugeben.
"Ein Baum", wiederholte sie langsam. Nun, sie reisten in einen Dschungel, da musste es ja auf jeden Fall Bäume geben. Gar kein so abwegiger Gedanke!
Auf jeden Fall würden sie möglichst bald eine erste Lagebesprechung machen müssen. Alle Mitglieder sollten die Wegmarken kennen, nach denen sie suchten, und dann sollten sie auch bei der örtlichen Bevölkerung einmal nachfragen. Irgendjemanden konnte doch etwas aufgefallen sein.
Sie fügte Delias Vermutung ihren Aufzeichnungen hinzu.

Sébastien runzelte die Stirn, ziemlich zuversichtlich, dass sie ihn verkohlte. Zwar traute er dem Kahn hier durchaus zu, dass mit ihm auch regelmässig Schweine und anderes Getier transportiert wurden, aber er war überzeugt davon, dass seine feine Nase etwas davon gerochen hätte, wenn ein Schwein an Bord wäre. "Es ist nicht fair, zahlende Passagiere durch den... wie sagt man?... den Kaffee zu ziehen, erst recht nicht, wenn sie so nett sind wie ich...", sagte er gespielt vorwurfsvoll mit einem schiefen Lächeln.

Ihr intensiver Blick fiel ihm durchaus auf, aber er schob es auf sein gutes Aussehen und seinen unwiderstehlichen Charme. Und er nickte verständnisvoll, als sie ihm erklärte, warum sie lieber nicht in einer Fischfabrik arbeitete (brrrr, widerliche Vorstellung). "Oh, ihr seid ein Familienbetrieb?" Wieder sah er sich um, sein Blick streifte Bueno und Delia, die sich offenbar ganz gut unterhielten, aber es war weiterhin weit und breit kein Crewmitglied zu sehen. Allerdings musste es irgendwo noch welche geben, das Schiff fuhr ja kaum von Zauberhand. "Wo ist denn der Rest der Familie?"

Und was nun die Einträglichkeit der Archäologie betraf... er lachte. "Kohle machen? Mit Archäologie?" Offensichtlich hatte sie von diesen Dinge keine grosse Ahnung. "Wenn du nicht gerade einen Schatz entdeckst, und das tust du nie, dann ist das ein ziemlicher Hungerleiderjob. Es fehlt ständig an Geld, man muss betteln, bei staatlichen Institutionen, Unternehmen..." Aber um Geld ging es ihm eh nicht, davon hatte er immer genug gehabt.

"Na, wenn du nicht nett wärst, hättest du ja schon den Eimer mit dem Schweinefutter in der Hand", lachte Teo vergnügt und zog sich langsam auf die Reling, wo sie beinebaumelnd sitzen blieb. Ein paar Wasserspritzer erreichten ihren Rücken, aber das war eigentlich ganz angenehm.

"Der Kapitän ist mein Onkel, aber heute ist er leider verhindert, also machen wir es heute nur zu zweit. Und Colin - das ist unser Steuermann - ist schon so lange an Board, dass er sowas wie Familie ist. Momentan findest du ihn am Steuerrad - hoffe ich." Sie lachte. "Außerdem hilft ab und an mein kleiner Bruder aus." Wenn er sich denn dazu herabließ, mit den Händen zu arbeiten, der Schmock. Teo zuckte mit den Achseln und grinste. "Aber der liegt jetzt wahrscheinlich noch ratzend in seinem Bett."

Sie nickte langsam, während sie Sébastien musterte. Wie ein Hungerleider sah er ja nun nicht gerade aus. "Aber trotzdem lohnt sich die Archäologie, richtig?" Sie blitzte ihn vielsagend an. "Genauso wie mein Job." Einen Moment zögerte sie kurz. Wie bekam sie ihn jetzt wieder auf die Spur, dass er von seiner Truppe erzählte? Von ihren Hinweisen? Wenn er überhaupt etwas wusste.. aber man marschierte doch nicht in den Dschungel, ohne überhaupt zu wissen, ob man sein Ziel auch erreichte!

Also doch, irgendso ein Seemannsgarn, das Kielschwein. Er verzog den Mund zu einem Lächeln und beschloss, bei nächster Gelegenheit mal zu googlen, was es damit auf sich hatte. Dann hörte er der Erklärung zu ihrer Familie aufmerksam zu. So einen Kahn konnte man also notfalls auch zu zweit betreiben? Interessant.

Er guckte kurz nachdenklich, als sie nochmals nach der Archäologie fragte, wiegte dann den Kopf hin und her. "Kommt drauf an. Wenn wir was finden, ja. Klar, ein Stück weit kann man sagen, der Weg ist das Ziel... aber auf die Dauer..." Sébastien schüttelte den Kopf. Schliesslich war er kein Zen-Mönch oder so was. Er war hier dabei, um etwas zu entdecken, und wenn er nach zwei, drei Expeditionen nichts ausser Dschungel und Staub gefunden hatte..., dann würde er sich wohl ziemlich rasch nach einer neuen Beschäftigung umsehen. Wäre ja nicht das erste Mal.

"Also mit der Einstellung wird das garantiert nix." Skeptisch hob Teo die Brauen, während sich in ihrem Kopf langsam ein Plan ergab. Vielleicht konnte sie ihn ja so auf die Schiene kriegen, auf die er sollte. "Wenn du jetzt schon davon ausgehst, dass du da gar nichts findest, findest du auch genau das."
Gut, das war meist tatsächlich so, und wenn sie in die Nähe des Tempels kamen, war es Teo sogar viel lieber, wenn sie nichts fanden. Aber vielleicht suchten sie ja auch in eine ganz andere Richtung nach irgendwelchen Tonscherben oder einem uralten Stein, an den mal ein spanischer Conquistador geheime Zeichen gepinkelt hatte.
Sie beugte sich zu ihm und senkte ihre Stimme. "Aber ich kann dir da vielleicht helfen", flüsterte sie verschwörerisch. "Ich kann nämlich zaubern. Du musst mir dafür nur ein Stück vertrauen."

Sébastien lächelte. "Ah, aber die Sache ist die: Ich gehe davon aus, dass wir etwas finden werden. Diese Expedition ist sehr gut vorbereitet." Sein Blick wanderte zu Bueno, der er bei allen Defiziten in Sachen Sozialkompetenz eine Menge zutraute, wenn es um Archäologie ging. Okay, sie hatte noch nicht alle Wegweiser entziffert und identifiziert, aber gemeinsam würden sie das schon hinkriegen. Wäre er nicht so zuversichtlich, hätte er kaum seinen Vater überzeugt, Geld in die Sache hier zu stecken.

Nun allerdings wurde es richtig interessant. Sie rückte ganz nah ran und klang plötzlich verschwörerisch. "Du?" er guckte skeptisch. Warum sollte sie helfen können, sie war ein Schiffsmädchen, sonst nichts. Oder? Und als sie weitersprach hob er seine Brauen. "Zaubern, yeah right." Sébastien grinste nun wieder. Wenn das mal nichts mit dem Kielschwein zu tun hatte. "Klar, ich vertrau' dir. Nur zu." Er sah sie erwartungsvoll und neugierig an.

Pff, gut vorbereitet. Das wollte sie doch erst mal sehen! Eine gut vorbereitete Gruppe hätte doch jetzt sicher Dutzende von Karten ausgebreitet, auf die sie mal spicken konnte.
"Also gut." Sie biss sich sacht auf die Unterlippe, rutschte etwas näher, wobei sie darauf achtete, ihr Gleichgewicht nicht zu verlieren und über Bord zu gehen, und legte ihm eine Hand auf die Schultern. "Schließ die Augen", befahl sie und hob die zweite Hand, um sie, falls er ihr folgte, über seine Augen zu legen. Sie begann, unverständliches und sinnloses Zeug zu murmeln und zu halb zu summen, was - wie sie fand - ein wenig nach Beschwörung klang. "Und jetzt denke ganz, ganz fest an das Ziel, das du finden willst. Siehst du es schon?"

Tatsächlich rutschte sie nun noch etwas näher, und als er gleich darauf ihre Hand auf seiner Schulter spürte, bestätigte ihn das in seiner Einschätzung, dass sie es mochte ihn anzufassen. Als sie ihn dann allerdings aufforderte, die Augen zu schliessen, sahen diese sie erst mal abschätzend an. Aber was sollte schon passieren. Über Bord werfen würde sie ihn schon nicht, auch wenn das möglicherweise zu einer Begegnung mit besagtem Kielschwein führen könnte...

"Eh bien...", murmelte er und schloss tatsächlich seine Augen, nur um kurz darauf ihre zweite Hand zu spüren. Dann musste er sich beherrschen nicht zu kichern, als sie begann, komisches Zeug zu summen und zu murmeln. Dennoch, fast reflexartig dachte er an ihr Ziel, den mächtigen Tempel der Selenisten, von dessen Aussehen er nur eine vage Vorstellung hatte. "Oh ja, ein gewaltiger Inkatempel...", erklärte er mitspielend. "Zum Greifen nah..."