RE: Vorderdeck - 6

"Sauber." Sie grinste ihn an und schüttelte amüsiert den Kopf, ehe sie seine Hände erst einem prüfenden Blick unterzog und dann auch mit den Fingern über seine Handteller strich. Die Hände eines Städters, ganz eindeutig. "Na, sie scheinen nicht zu empfindlich zu sein." Zufrieden entließ Teo seine Hände aus ihrer Musterung. "Da kannst du mir helfen, die Taue aufzurollen. Da sind Haken an den Schiffswänden, wo sie draufkommen. Aber nicht zu locker wickeln, sonst fallen sie runter, und irgendwer stolpert dann drüber und bricht sich ein Bein." Sie kloopfte ihm sacht gegen den Oberarm, als hätte er eine Prüfung bestanden. "Und das wäre doch ein ziemlich blöder Zeitpunkt für einen Unfall."

cf: Erstpost

Sie hatte sich auf den Weg nach draußen gemacht, als sie die ersten Motorengeräusche vernommen hatte, die scheinbar ihre Abfahrt ankündigten. Als sie einen Fuß auf das Decke setzte, sah sie auch dass ihre Ohren sie nicht getäuscht hatten und sie San Palabra verließen.
Mit der rechten Hand griff Delia nach einer Haarstränge und zwirbelte sie kurz um ihren Finger, während sie die anderen Passagiere genauer musterte. Da war sie also. Zusammen mit einer handvoll Abenteuerlustiger. Die nicht wussten, dass ihre Mission zum scheitern verurteilt war. Zumindest würde sie dafür alles geben. Aber ein bisschen was entdecken und lernen würde sie trotzdem gerne. Vielleicht lässt sie ihnen für die erste Hälfte ihren Freiraum. Das wird sich aber noch entscheiden. Erst einmal ist Ruhe angesagt. Sie ließ ihre Haarsträhne los und brachte ihre Frisur mit einer fließenden Kopfbewegung wieder in Ordnung.

Teos Berührungen fühlten sich gut an und jagten einen kleinen wohligen Schauer über seinen Rücken. Allerdings erstaunte ihn ihre Erkenntnisse, dass seine Hände nicht allzu empfindlich schienen, gerade oft waren sie nicht mit körperlicher Arbeit in Kontakt gekommen. Was aber nicht hiess, dass er zwei linke Hände hatte! Er grinste. "Zu Befehl, mon capitan!" Taue aufwickeln... nun ja, nicht gerade ein sonderlich verantwortungsvoller Job, vermutlich war dem Kahn der Schiffsjunge abhanden gekommen - falls es überhaupt je einen gegeben hatte. Bisher hatten sie nämlich von der Crew echt noch nichts weiter gesehen ausser Teo.

Gerade wollte er sich Richtung Taue bewegen, als eine weitere junge Frau an Deck trat. Er hielt inne und guckte. Das musste Delia sein, der einzige Frauennamen auf der Liste der Expeditionsteilnehmer, der ihm nichts gesagt hatte. Willams hatte ihm erklärt, dass sie sich in letzter Sekunde für die Expedition gemeldet hatte und er sie vor allem deshalb akzeptiert hatte, weil sie die Region offenbar kannte. Sébastien wäre angesichts ihres blendenden Aussehens noch ein weiterer guter Grund eingefallen, warum man sie mitnehmen sollte... Er schickte ihr ein freundliches Lächeln entgegen.

Aber first things first, die Taue. Wie geheissen bewegte er sich zu den Tauen und begann die dicken Stränge auf die Haken zu wickeln, möglichst dicht. Die Dinger waren überraschend schwer und angesichts der hohen Luftfeuchtigkeit begann er schon bald zu schwitzen. Und es dauerte nicht lange, bis die nächsten Flecken seine hellen Hosen und das weisse Hemd verunzierten.

Teo grinste amüsiert, was sie aber nicht daran hinderte, zumindest zu Anfang etwas argwöhnisch den Hals zu recken und zu schauen, wie sich die Landratte mit den Tauen machte. Na, das konnte sie so abnehmen. Zufrieden machte sich Teo ein Stück weiter entfernt an die gleiche Aufgabe, die sie Sébastien aufgetragen hatte, während die Caminante an Fahrt aufnahm und der Wind ihr die Haare zerzauste. In ein paar Momenten würde auch der Motor vom wütenden Aufheulen, das der Aufbruch mit sich brachte, sicher wieder in gemütliches Tuckern verfallen.
Nur einen winzigen Moment gönnte es sich Teo, die Augen zu schließen und den Fahrtwind auf ihrer Haut, in ihrem Haar, an ihrer Kleidung zu genießen; dann konzentrierte sie sich wieder ganz auf ihre Arbeit und ging, kaum dass sie fertig war, wieder herüber zu ihrem neuen Behelfs-Schiffsjungen, um ihm kamaradschaftlich den Rücken zu klopfen. "Das machst du wirklich gut. Aus dir wird noch mal ein echter Seefahrer." Sie zwinkerte ihm zu.

"Ja, ja", brummelte Dr. Bueno vor sich hin, während sie kopfschüttelnd Lemaitres Entscheidungsfreudigkeit beobachtete. Immerhin wurde die Crew dieses Schiffes ja dafür bezahlt, dass sie das mit Ablegen und Herumfahren und Nicht-Sinken für sie erledigten, aber es wunderte sie nicht im geringsten, dass Lemaitre kaum Bedenkzeit brauchte, um sich hilfsbereit zu zeigen. Nun, mit etwas Glück half es wenigstens dabei, dass sie nicht länger auf diesem 'Schiff' verbringen mussten als nötig.
Sie schluckte hart, um das Gefühl zu bekämpfen, das sich in ihrem Bauch und ihrem Hals einnistete, als die Wellen hart unter dem niedrigen Rumpf des flachen Schiffes hinwegrollten, drückte mit einer Hand ihr Reisetagebuch gegen ihre Magengrube und klammerte sich mit der anderen an der Sitzbank fest. Zu dumm, dass sie nicht auch ihre Zehen in die Schiffsplanken krallen konnte - und warum sah sie nicht noch genug von einer interessanten Küstenlinie, die sie vielleicht von der leichten Übelkeit hätte ablenken können? Wo war denn die Ablenkung, wenn sie eine brauchte!?

Sie bemerkte Sebastiens Blick und Lächeln und erwiderte es mit einem zusätzlichen Augenzwinkern - ohne sich weiter Gedanken darüber zu machen. Noch einen Moment lang beobachtete sie ihn bei seinem tun und konnte ihre Verwunderung nicht verbergen. Sie hätte den Schönling ganz anders eingeschätzt. Es wunderte sie mittlerweile nicht mehr, dass er an dieser Expedition teilnahm, aber dass er sich dann doch noch die Hände schmutzig machte? Nun ja. Sie müsste ihn demnächst einmal näher kennenlernen.
Nachdem sie ein Gefühl für das fahrende Schiff bekommen hatte, setzte sie sich in Bewegung und steuerte direkt auf ihr nächstes Ziel zu.
"Hey!" sagte sie munter und setzte ein freundliches und unschuldiges Lächeln auf. "Alles in Ordnung bei Ihnen? Ich nehme mal an, sie sind nicht oft auf dem Wasser unterwegs. Es hilft, wenn man nicht direkt das Wasser ansieht. Schauen sie zum Horizont." Zur Verdeutlichung zeigte sie hinaus aufs Meer. "Es ist ähnlich wie mit den Fahrbahnmarkierungen beim Autofahren. Verfolgt man die weißen unterbrochenen Streifen, wird einem schlecht. Ignoriert man sie, ist alles in Ordnung. Zumindest bei einem Großteil ist das so."

"Wirklich?" Dr. Bueno blickte Delia eher zweifelnd an, versuchte allerdings auch erst gar nicht, ihr Unwohlsein zu verbergen. Das war schließlich alles die Schuld dieses Schiffs! Die nächste Theorie, die sie aufstellte, würde sich definitiv wieder am Schreibtisch beweisen lassen!
Etwas unsicher zuckte sie mit den Schultern, ohne ihre krampfhafte Sitzhaltung auch nur einen Tick zu entspannen. "Ich kann es ja einmal versuchen." Unsicher wandte sie den Kopf, zog dann allerdings streng die Brauen über der Nasenwurzel zusammen. Nein, das ging ja nicht! "So sehe ich aber die Küste nicht mehr."
Aber vielleicht konnte sie ein, zwei Minuten noch so sitzen bleiben. Jedenfalls bis sich ihr Magen an das komische Auf und Ab gewöhnt hatte!

Sie nickte bekräftigend und fügte ein überflüssiges "Ja." hinzu. Schweigend beobachtete sie Mercedes' Versuch ihre Übelkeit in den Griff zu bekommen - erfolglos, wie sich herausstellte.
Sie seufzte leise auf. So etwas nennt sich also Entdeckerin. Sollte man dann auch nicht furchtlos und abenteuerlustig sein. Sich nicht von einem Schiff aus der Ruhe bringen lassen? Nicht einmal richtig versucht hatte sie es.
"Sie können natürlich auch versuchen, die Küste anzustarren und nicht das Wasser. Allerdings ist die Küste etwas, was sich bewegt - auch wenn es immer kleiner wird. Und eben kein Ruhepol. Es geht ja darum, den Augen etwas zu geben, was sich nicht andauernd verändert damit man sein inneres Gleichgewicht wieder findet." Sie legte ihren Kopf schief und befeuchtete sich nachdenklich die Lippen. "Man könnte es noch damit versuchen, dass sie die Augen schließen, tief durchatmen und sich auf etwas schönes konzentrieren. Versuchen sie ruhig zu werden." Es ist doch alles nur halb so schlimm.

"Ich werde vollkommen ruhig sein, sobald wir wieder anlegen", erwiderte Dr. Bueno angespannt und wandte den Kopf langsam wieder, um hinüber zur Küste zu blicken. Stadt. Tja, zwischen den Häusern von San Palabra würde sich die Große Hand nicht verbergen.
"Oder falls wir wieder anlegen." Sie krauste die Nase. Am besten würde sie sich nicht mehr auf diese sicher nur noch von Rost, etwas Farbe und am Rumpf klebenden Muscheln zusammengehaltenen Seelenverkäufter konzentrieren. Ihn mit Missachtung strafen. Das funktionierte bei Straßenlärm, lästigen Versicherungsvertretern und nervigen Hunden. Warum nicht auch bei Schlingerbewegungen?
"Solange werde ich das schon überstehen." Sie atmete durch die Nase ein - es stank nach Seeluft. "So. Sie sind Senorita Sanchez, richtig?" Fragend hob sie die Brauen.

Sébastien hatte Delias Augenzwinkern als Einladung verstanden, sich ihr später etwas genauer anzunehmen, sobald er die Aufgaben erledigt hatte, die Teo für ihn vorgesehen hatte. Die Expedition verfügte über einen klaren Frauenüberhang, aber umso besser, n'est-ce pas?

Natürlich war er langsamer als Teo beim Aufwickeln der Taue, immerhin machte er das zum ersten Mal, aber offensichtlich erkannte sie ein gewisses Potenzial. Und schon wieder war da eine Berührung... Dem Mädchen machte es offensichtlich Spass ihn anzufassen, beste Voraussetzung für ihre kleine Reise. Dann allerdings erinnerte er sich erneut mit leisem Bedauern, dass die Schiffsfahrt ja nur recht kurz war, und es das dann schon gewesen sein würde. Teo würde zurücktuckern, und er musste sich mit Bueno rumschlagen... Er warf einen Blick rüber zu ihr und Delia. Sie immerhin war ein Lichtblick. Vielleicht konnte sich ja der Prof mit Bueno abgeben.

"Oh ja, Kolumbus ist nichts gegen mich...", versichert er ihr mit einem frechen Grinsen und wickelte das letzte Stück Tau um die Haken, indem er nochmals kräftig daran zog. "Voilà!" Er richtete sich auf und sah sie an. "Noch mehr? Segel setzen? Deck schrubben?"

Etwas entspannter könnte die gute Professorin allerdings schon sein, dachte sich Delia und seufzte innerlich ein zweites Mal in kürzester Zeit auf.
"Wir werden anlegen." Sagte sie ruhig aber mit einem leicht genervten Unterton in der Stimme.
Interessiert nahm sie den Themenwechsel von Professorin Bueno hin und zog eine Augenbraue nach oben, ehe sie nickte. "Ja, ich bin Delia Sanchez." Der Höflichkeit gebührend streckte sie ihr ihre Hand entgegen. Sie war gespannt, ob ihre Professorin sie nehmen würde. So wirklich viel hatten sie bisher ja noch nicht miteinander zu tun gehabt. Natürlich hatte sie sie an ihrer Universität in Primera, aber mehr als den Höflichkeitsfloskeln war auch da nicht geflossen.
"Und sie müssen Doktorin Bueno sein." Ergänzte sie mit einem verschmitztem Lächeln auf den Lippen.

Vergnügt lachend lehnte Teo sich mit dem Rücken an die Reling. "Nö, jetzt lassen wir den Schweiß erst mal trocknen, das nächste Stück macht die Caminante ganz von allein. Seit der Erfindung des Motors überlassen wir das Segelsetzen sowieso denen, die das Kielschwein füttern gehen." Sie verschränkte die Arme unter der Brust. "Und ich hoffe, Kolumbus ist nicht auch dein Vorbild für deine Entdeckerei. Gut, Amerika ist ja kein schlechter Fund gewesen, aber dafür, dass er eigentlich nach Indien wollte.." Sie lachte noch einmal auf. "Wer weiß, wenn du es so geschickt anstellst wie er, findest du keine Inka, sondern Eskimo!"
Was leider sogar der Fall sein könnte. Da durfte sie gar nicht zu viel drüber nachdenken.

Es kostete Dr. Bueno etwas Überwindung, die Finger von der Sitzbank zu lösen, um Delia die Hand zu geben, aber auch, wenn ihre Bewegungen etwas steif waren und die Hand trotz der angenehmen Temperaturen kalt geworden war, schloss sie ihre Finger um die Hand der Studentin und schüttelte sie flüchtig.
"Professor Williams erwähnte, Sie kämen aus dieser Gegend", fuhr sie fort, während ihre Hand wieder den alten Platz einnahm. Etwas Smalltalk konnte gewiss nicht als Ablenkung schaden. "Von wo genau?" Durchaus interessiert blickte sie Delia an und versucht, das Gesicht mit einem der Gesichter in ihren Vorlesungen oder Seminare in Einklang zu bringen. Aber unter der Sonne, mit dem Seewind in Haaren und Nase, fiel es ihr schwer, sich an Einzelheiten aus ihren geliebten, dunkleren Räumen zu erinnern.

Das Angebot mit dem Deck schrubben hatte er natürlich nicht ernst gemeint, und zum Glück war es das mit der Schiffsjungen-Tätigkeit offenbar auch schon gewesen. Er nickte, runzelte die Stirn und sah sie an: "Kielschwein füttern?" Matrosenslang offensichtlich, hatte er noch nie gehört.

Was nun Kolumbus betraf...: "Naja, er ist schon einer von den Grossen, aber ein Archäologe war er schliesslich nicht." Er zuckte mit den Schultern. "Allerdings hätte ich nichts dagegen, was total Anderes und Überraschendes zu finden, etwas mit dem niemand gerechnet hätte. Im Grunde sind das doch die besten Entdeckungen." Er lehnte sich neben sie an die Reling und besah sich das Boot und die Passagiere. Das Dröhnen des Motors verwandelte sich langsam in ein regelmässiges, etwas leiseres Tuckern, und der Fahrtwind spielte mit seinen Haaren.

Er atmete tief ein, drehte sich dann um und sah statt aufs Deck über das Wasser und den langsam kleiner werdenden Hafen. Dann blickte er Teo an. "Lohnt sich das hier eigentlich, so einen Schiff zu betreiben? Finanziell meine ich. Da muss es doch bestimmt Einträglicheres geben, was man hier in der Gegend machen kann?"

Sie erwiderte Mercedes Buenos Händedruck fest und störte sich auch nicht daran, dass Dr. Bueno etwas verkrampft reagierte. Das lag immerhin nicht an ihr.
Innerlich gab sie ein seufzen von sich, als die Professorin auf ihre Vergangenheit zu sprechen kam. Sie hoffte wirklich, dass ihr das nicht doch noch irgendwie zum Verhängnis werden würde. Allerdings war der Selenismus auch in Atempo mittlerweile eher eine Seltenheit. Wie dem auch sei. Es war kein Geheimnis woher sie kam. Sie nickte zustimmend. "Ja, das stimmt. Ich habe einen Teil meiner Kindheit in Atempo verbracht. Ursprünglich komme ich allerdings aus der Gegend von Neu-Argento. Na ja und jetzt lebe ich in Primera." Breit grinste sie Mercedes an. "Die Großstadt ist schon spannender als so ein kleines Dorf." Wobei kleine Dörfer eine Menge interessantes bieten können, wenn man es nur weiß.
Interessiert: "Woher kommen Sie denn?"