Handelsposten » Haus der Verwalters

Scott griff scharf in die Bremsen, als er am Vorgarten von Garcias Haus ankam, so dass das Hinterrad seines Mountain Bikes zur Seite wegbrach und vereinzelte Kiesel wegsprengte. Mit einem zufriedenen Grinsen schwang er sein Bein über das Fahrrad und überlegte kurz, ob er sein Gefährt wirklich an diesen windschiefen Zaun anlehnen sollte und entschied sich spontan dagegen. Stattdessen schob er es in den Vorgarten hinein, um es dort sorgfältig auf den Boden gleiten zu lassen. Es sah nicht so aus, als würde sich jemand ärgern, wenn im Garten etwas platt gedrückt werden würde.
Er atmete einmal tief durch, er hatte sich und seinem Fahrrad schon einiges abverlangt, um hier her zu kommen, aber er war mit Sicherheit auch kein Sonntagsfahrer. Kurz nahm er sein Cap ab, wischte sich mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn und lief dann behänden Schrittes die kurze Treppe zum Eingang hoch, um dort deutlich gegen das Holz der Tür zu klopfen.

Es klopfte. Mal wieder. Warum wurde man eigentlich in die gottverlassene Einöde versetzt, wenn dann alle ein, zwei Tage doch jemand kam, um zu klopfen und irgendwelche Ansprüche aufzustellen? Erst wollte Garcia nach seiner Frau rufen, damit die aufmachte, aber war sie überhaupt daheim? Vermutlich nicht. Vermutlich war sie gerade unterwegs, um irgendeinem Typen eine ganz besondere Grotte zu zeigen oder ihm wenigstens Lust darauf zu machen.
Missmutig griff Garcia nach seinem Stock, stemmte sich von seinem einfachen Holzstuhl und humpelte zur Tür, wobei er darauf achtete, hörbar mit seinem Stock auf den Boden zu klopfen. Tock, schlurf, tock, schlurf, tock, schlurf, tock. Es hatte einfach etwas Beruhigendes - und er konnte wenigstens etwas von seinem Unmut über den Stock loswerden.
Ungeduldig zerrte er am Türknauf und spähte finster seinem Gast entgegen. "Ja?"

Unbeschwerte grinste Scott Garcia entgegen. "Mitchell," Und streckte ihm seine Hand entgegen, während er mit der anderen in die Hosentasche griff.
"Mir wurde gesagt, dass ich hier bestellte Waren abholen konnte." Scott entfaltete das zerknitterte Stück Papier, das er hervorgeholt hatte. "Sie sind Garcia?" vermutete er. Zumindest passte er rein äußerlich und auditiv - die Geräusche des Stockes - zu der Beschreibung der Dorfbewohner.

Das waren ihm doch die allerliebsten: Erst jagte der Typ ihn aus seiner wohlverdienten Pause, und dann grinste er ihn auch noch wie ein Honigkuchenpferd an, als wollte er dafür belohnt werden!
"Hm, bin ich", brummte Garcia zustimmend und zog die Brauen zusammen. Er kannte den Typen nicht mal! Dabei kannte er beinahe jedes Gesicht, das hier an seine Tür klopfte, weil alle entweder in der Gegend wohnten oder mit dem Schiff hier angekommen waren.
"Was sollen das für Waren sein?" Sechs Worte! Sechs Worte hintereinander für einen unbekannten Grünschnabel. Was für eine Verschwendung!

Scott zog seine Hand zurück, als Garcia keine Anstalten machte, diese zu ergreifen. Paragraph Eins: Jeder macht seins.
Aber bei der Frage stutzte er doch ein wenig. Dieser Garcia meinte jetzt wohl kaum, was in dem Paket drin war. Denn darin hatte er doch mit Sicherheit hineingeschaut.
"Nun, es sollte ein Paket vom Fahrradshop 'Radgeber' sein. Schätzungsweise, so groß." Mit seinen Händen zeigte er die ungefähre Größe auf. Nun, seine Bestellung war reichlich und damit gingen auch die letzten Scheine flöten. Nun, es würde sicherlich was nachkommen. Für sein Fahrrad war es ihm allemal wert.
Scott zuckte grinsend mit den Schultern: "Vielleicht haben sie aber auch mehrere Päkchen geschickt."

"Radgeber, so." Aus zusammen gekniffenen Augen musterte Garcia seinen Gast. Der hatte also diese ganzen Metallteile bestellt. Erst hatte er ja geglaubt, das ein oder andere davon gebrauchen zu können, aber nachdem er alles ausgepackt hatte, war ihm nichts in die Hände gefallen, was er nicht schon besaß. Also hatte er den ganzen Krempel wieder ins Paket geschüttet und alles mit Klebeband zugekleistert. Klebeband, richtig. Das musste er bald mal wieder bestellen. Wenn das Schiff das nächste Mal da war.
Wortlos lehnte sich Garcia zur Seite, sodass er aus Scotts Blickfeld verschwand, und angelte nach einem Klemmbrett, das nicht weit der Tür auf einem niedrigen Tisch lag. Als er es erreicht hatte, richtete er sich damit wieder auf, lehnte den Stock gegen die Tür und fuhr mit dem Zeigefinger die Buchstaben auf dem Papier entlang. "Radgeber", murmelte er dabei. Er hatte ja an einen Druckfehler geglaubt. Wer bestellte auch so viel Scheiß für ein Fahrrad!
Langsam nickte er. "Ist da." Er griff nach seinem Stock und humpelte vorwärts. Das Milchgesicht würde doch sicher zur Seite weichen!

Scott lehnte sich mit verschränkten Armen gegen den Türrahmen, als Garcia ohne Vorankündigung verschwand. Weit konnte er allerdings nicht sein, das hätte er am Stock gehört.
Als Garcia unvermittelt wieder auftauchte, trat Scott einen Schritt zur Seite und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Irgendwie fand er ihn sympathisch, er hatte eine erfrischend schnoddrige Art. Würde er nicht am Stock gehen, wäre er bestimmt ein guter Klettergefährte, keiner der Momente durch zu viel Gerede zerstörte.
"Hervorragend." Nickte er und folgte Garcia. "Sie machen das schon lange?" fragte er und verbannte jedweden belustigten Ton aus seiner Stimme.

"Hm." Wieder nickte Garcia, während er etwas unbeholfen die Stufen hinabhumpelte. Schon zigmal hatte er sich vorgenommen, den Vorgarten einfach zuzubetonieren. Dazu musste er nur an Beton herankommen, an Werkzeug und am besten an jemanden, der das auch gleich für ihn erledigte. Eine Frau am besten. Da war die Chance gering, dass der Großteil der Zeit im Schlafzimmer seiner eigenen Frau verbracht wurde und er am Ende nur noch einen kräftigen Maurer mit dem Stock aus dem Haus treiben musste, um dabei über die halbfertige Arbeit zu stolpern und sich das andere Bein zu brechen, während seine Frau ihn lachend fragte, warum er sich denn so aufregte. Nach all den Jahren liebte er ihr Lachen immer noch.
"Hast du das Geld dabei?" Er machte sich keine Umstände, Scott zu siezen. Das war der eine, kleine Vorteil an seinem Job. Jeder andere hier war abhängig von ihm; er konnte ihnen ans Bein pinkeln, solange er wollte und so hoch, wie es ihm gelang.
Sein Blick schweifte das Fahrrad, das im Garten lag, und sein Mundwinkel zuckte, während er vor dem Rad stehen blieb. War der Trottel etwa damit hergekommen?

Scott langte mit einer Hand hinter sich an die Vordertasche seines Rucksacks, dass er gerade geduzt wurde, fiel ihm gar nicht auf.
"Jap, alles dabei. Auch einen Ausweis, falls der nötig sein sollte." Er hatte sich schon zu vielen verschiedenen Orten was bestellt und wusste, dass die Aushändigung mitunter schwierig ausfallen könnte. Besonders in ärmeren Ländern musste man oft Geld bezahlen, damit der Vorgang etwas schneller ging. Nun für den Fall hatte er sein Geld fest eingeplant, er war immerhin auf sein Fahrrad angewiesen.
Scott blieb bei Garcia vor seinem Fahrrad stehen und starrte erst kurz darauf, ehe er seinen Blick auf Garcia richtete: "Stimmt etwas nicht?"

Ausweise, pah. So einen Ausweis konnte man doch für ein paar hundert Dollar leicht irgendwo besorgen. Ein Bild austauschen oder gleich das ganze Papier fälschen, das ging doch rasch von der Hand. Dennoch würde Garcia ihn sich natürlich zeigen lassen. Meist fiel ihm bei einem Ausweis gleich ein, weshalb er eine erhöhte Gebühr bekam.
All das ging Garcia durch den Kopf, während er das Fahrrad staunend betrachtete. Die meisten Räder hier in der Gegend waren klapprig, eine Nummer zu groß, hatten schmale Reifen mit abgefahrenem Profil und Farben zwischen Schlammbraun und Rostrot. Das hier war anders.
"Biste etwa damit unterwegs?" Er sah Scott an, und ein kleiner gieriger Funken blitzte in seinen dunklen Augen auf. Egal ob er sich über den Grünschnabel wundern sollte oder sogar eine Spur Hochachtung entdecken würde: So ein Fahrrad eröffnete ganz neue Möglichkeiten jenseits des Ausweises.

Scott verschränkte unwillkürlich seine Arme. Es stand sich so einfach bequemer.
"Ja," Er nickte bekräftigend. "Seit Jahren habe ich es dabei. Es ist nicht gerade günstig, es in Stand zu halten. Gerade bei sehr ungepflegten Straßen. Oder Kakteen."
Und vielleicht würde es auch seltener Probleme machen, wenn er einen Gang zurückschalten würde. Allerdings hätte er dann auch einen immensen Spaßverlust.
"Aber es ist ein guter, ständiger Begleiter. Sehr treu." Er grinste schief. Irgendwer hatte mal behauptet, dass er dem Fahrrad treuer sei als seinen Freunden. Aber das war sicherlich nicht ernst gemeint.

"So." Garcia stützte sich auf seinen Stock und bohrte seinen Blick in Scotts Augen. Der war also seit Jahren damit unterwegs. Und es war teuer, dafür zu sorgen, dass er das tun konnte. Wie ein reicher Pfeffersack sah der jetzt zwar nicht aus, so einer, der sich sein Gesetz beim Frühstück passend zur Garderobe kaufte, aber das hieß jetzt ja nichts. Der Schein konnte trügen.
"Das hier ist Naturschutzgebiet", sagte er langsam. Beinahe genüsslich zog er dabei jede Silbe in die Länge. Wusste doch wohl jedes Kind, dass man da nicht einfach herumkurven konnte. Weil dabei doch so arme, arme Pflanzen, die es nur hier auf der ganzen weiten Welt gab und die gleichzeitig Keuchhusten, Schuppenflechte und grassierende Flatulenz heilen konnte, wenn man sie vorher nicht ausrottet. Irgendso ein blödes Grünzeug eben. Teures Grünzeug.

Scott runzelte seine Stirn. Diese Art von Reden kannte er zu Genüge. Gleich würde kommen, dass er für das Naturschutzgebiet eine Spende machen sollte oder ähnliches.
Und auch wenn er wusste, dass sein nächster Spruch wahrscheinlich nicht auf Gegenliebe stoßen würde, konnte und wollte er ihn sich nicht verkneifen:
"Das muss ja ärgerlich sein, wenn man auf einen Stock angewiesen ist." Er verzog sein Gesicht zu einem Grinsen. Denn das der Stock mit dem gesamten Körpergewicht drauf verlagert, um einiges schwerer war, als mit einem Fahrrad über den Boden hinwegzurasen, war wohl relativ offensichtlich.
"Gut, dass ich einen Aluminiumrahmen habe, sonst würde ich sicherlich viel zerstören."