RE: Haus der Verwalters - 2

Garcias Brauen verengten sich. Hätten Blicke töten können, hätte Scott winselnd zu Boden fallen und anschließend still liegen bleiben müssen. Blöd nur, dass das nicht im Rahmen seiner Autorität lag.
"Radfahren ist hier verboten", knurrte er stattdessen und versuchte, sich weniger auf seinen Stock zu stützen. Was bildete der sich eigentlich ein? Rotzlöffel, verdammter! "Mit Aluminium und ohne." Wieviel Bußgeld konnte er ihm wohl aufbrummen? 50 Dollar? 100? Auf jeden Fall das Rad konfizieren, bis der Bursche zahlte, jawohl. Dann musste der zwar noch mal wiederkommen, ums auszulösen, aber vielleicht würde ihm ja ein wenig Demut beibringen, wenn er zweimal durch den Dschungel laufen musste!

Scott schob sich kurz sein Cap vom Kopf, um sich genüßlich am Hinterschopf kratzen zu können.
"Und ich bin mir sicher, dass dieses Verbot ausreichend beschildert ist und im Gesetzbuch verankert ist. Nicht wahr?"
Nein, es hatte keinen Sinn und ja es würde nur noch teurer werden. Aber er würde mit Sicherheit nicht kampflos aufgeben. Wenn er einmal nachgeben würde, würde er den restlichen Aufenthalt hier blechen müssen.
Verdammte geldgierigen Geier! Auch wenn er sich nicht sehnlicher aus New Mexico weggewünscht hatte, an solchen Tagen hätte er die unbestechlicheren Gesetzeshüter dort liebend gern umarmt.

"Klar." Er zuckte nicht mal mit der Wimper. Damals, als er hier angefangen hatte, hatte er sich das dicke Buch der Ge- und Verbote, das seine Vorgesetzten ihm mitgegeben hatten, sorgfältig gelesen. War ja nichts anderes zu tun gewesen. Irgendwann hatte er es dann als Klopapier benutzt, obwohl er echtes, mehrlagiges vorrätig gehabt hatte. Es kümmerte ihn aber einfach nicht mehr.
Mittlerweile hatte er auch einen Kopierer, und zusammen mit seinem Rechner konnte er jedes Gesetz, das er brauchte, auf so amtliche Bögen drucken. Sehr praktisch.
"Kann ich dir zeigen, wenn ich's finde. Und Schilder stehen außerhalb der Zone."
Das stimmte sogar ausnahmsweise. Da stand zwar von Fahrrädern genau nix drauf, aber sie zeigten deutlich, dass jeder, der hier reinwollte, ein bisschen Reisegeld brauchte.

"Nun, ich bin mir sicher, dass es Ausnahmen für befestigte Wege gibt." Scott setzte sich das Cap wieder auf. So langsam nervte ihn diese Konversation.
Sollte er doch einfach sein Fahrrad nehmen und davon fahren, was sollte Garcia schon machen, ihm hinterherhinken?
Oder sollte er sein Fahrrad kurzerhand schultern und sagen, dass er es nie hier gefahren hätte?
Die Reifenabdrücke vor dem Zaun würden allerdings was anderes sagen.
Schwierig, sicherlich würden dann alle Lieferungen an ihn niemals ankommen.

Ausnahmen. So langsam sprach der Junge eine bekannte Sprache. Garcias Miene wurde eine Spur weniger abweisend und düster, als ein zufriedenes kleines Lächeln - oder zumindest eine Andeutung eines solchen - auf seine Lippen schlich.
"Es gibt Ausnahmegenehmigungen. Kosten aber."
Er machte einen halben Humpelschritt vorwärts und stieß seinen Stock in eine Lücke, die durch die Verstrebungen des Fahrrads entstand. Wieviel sollte er wohl aus Anfangsgebot nennen? Und sich dann auf wieviel runterhandeln lassen?
"Kostet zweihundert."

Eine Augenbraue zuckte nervös, als Garcia seinen Stock knapp am Fahrrad vorbei in den Boden stieß.
"Zwei hundert?" Gedehnt echoete Scott Garcias genannte Summe. "Du musst Witze machen. So ein Wisch ist doch allemal 50 wert."
Warum waren die Menschen auf dieser Welt nur so verflucht materiell eingestellt? Nein, den vorigen schon irrealen Gedanken Garcia mit auf eine Kletterpartie zu nehmen, verflüchtigte sich doch sehr schnell.

"Für 50 Dollar kriegst du nen Roller", erwiderte Garcia trocken, während sich in seinem Bauch das Hochgefühl breit machte, das solche Verhandlungen in ihm auslösten. Das war was anderes, als kriechen zu müssen! Es war was anderes, als sich von Emma auf der Nase herumtanzen zu lassen. Als sich wieder und wieder Ablehnungen auf seine Versetzungsgesuche durchlesen zu müssen.
"Da muss noch mindestens ein Hunni mehr drauf. Weil's ein Alurahmen ist", fügte er sarkastisch hinzu. Er ließ seine Zähne ein wenig aufblitzen und stubste den Rahmen mit der Schuhspitze an. Alurahmen war gut; wenn der das Geld nicht dabei hatte, war das Ding sicher leicht genug, dass er es trotz seines Knies zum Unterstand bringen und da anketten konnte.

Nein, es breitete sich eher der Gedanke aus, diesen Trottel von einer Klippe zu stürzen.
"Ich gebe dir hundert." Scott zog seine Unterlippe zwischen die Zähne ein. Wegen des Alurahmens. Das war doch lächerlich. Und von sowas musste er sich auf der Nase herumtanzen lassen. Nein, das nächste Mal würde er bei jedem verdammten Anlegen des Schiffes dabei sein. Damit dieser geldgierige alte Mann, seine Klauen gar nicht in seine Pakete reißen konnte.
"US Dollar." Scott löste die verschränkten Arme und steckte seine Hände in seine Hosentaschen. Was für eine Farce. Die hundert hatte er. Aber das Päkchen würde er dafür nicht auslösen können.

"Die muss ich ja umtauschen", entfuhr es Garcia verärgert. Sicher würde da jemand Provision für kassieren wollen. Andererseits waren hundert Dollar für einen Haufen heiße Luft schon ausreichend Asche, ob US oder narracitische Dollar.
Brummend zog Garcia seinen Stock zurück. "Na gut. Hundert."
Wenn er die Bewegungen des Typen richtig deutete... Garcias Augen begannen erneut zu glänzen. Der spazierte mit hundert Dollar in der Tasche hier herum, vielleicht sogar mit mehr! Ein echter kleiner Goldesel mit Drahtesel.
"Wo wohnst du noch mal gleich?" Hatte der das überhaupt schon gesagt? Bisher war ihm das scheißegal gewesen, aber einer mit Asche, der in der Nähe wohnte, war ihm lieber als einer, der mit seinem Geld schön schnell weiterreiste und es nie wieder in seine Reichweite brachte.

Nun war es an Scotts Seite überrascht zu sein. Garcia schien ein wirklich guter Schauspieler zu sein. Oder in Narracion schienen andere Regeln zu gelten. Bisher wurden ihm in Südamerika immer die US-Dollar Noten nur so aus der Hand gerissen. Oder Garcia war nicht nur ein geldgieriger sondern auch ein träger Hund und meinte das tatsächlich ernst. Nun, ihm sollte es recht sein, solange er hier wieder mit Hemd und Hose herauskam.
"Bei Miss Ruby." Sprach Scott etwas abgelenkt, während er in seinem Rucksack nach seinem Geldbeutel fischte.

Es wäre sicher keine gute Idee, sich jetzt zufrieden die Hände zu reiben, also ließ er's. Miss Ruby, die kannte Garcia sogar - zusammen mit dem kleinen Laden war ihre Wirtschaft der Grund für die angenehm regelmäßigen Fahrten der Caminante hierher. Die ging ihm zwar offiziell gehörig auf den Keks mit ihrer aufdringlichen Crew, aber inoffiziell genoss er es ja doch, ein paar Fetzen Außenwelt zu bekommen und ab und an andere Gesichter zu sehen. Sogar, wenn's nur die Visagen von der Schiffsbesatzung waren.
"Hm", brummte er daher zustimmend und wischte sich die Hand an seiner Hose ab, als müsste er sie säubern, ehe er das Geld entgegen nahm. Nur der Gedanke, bettelnd auszusehen, hielt ihn davon ab, die Hand bereits auszustrecken.

Widerwillig zählte Scott das Geld ab. Er durfte einfach nicht daran denken, was ihm da alles zwischen den Händen glitt. Essen, die Utensilien für das Bike, Unterkunft,.. Ganz abstrakt gedacht: Zeit, die er bräuchte, um das Geld wieder rein zu kriegen.
Aber er wollte ja nicht daran denken, es würde schon klappen. Sein Bike würde länger durchhalten, er würde seine Arbeitgeberin fragen, ob er längere Schichten übernehmen könnte und ruckzuck wäre er 'raus aus dem verdammten Loch.
Während er Garcia das Geld hinstreckte, murmelte er: "Das Päkchen hole ich ein anderes Mal ab."

Lächelnd nahm er das Bündel entgegen, klemmte sich den Stock unter den einen Ellbogen, um beide Hände freizuhaben, und strich fast zärtlich über das Papier der Geldscheine. Wenn der Junge kein besonders guter Schauspieler war, der ihm nur was vormachte, hatte er wohl doch nicht soviel flüssig, wie Garcia gehofft hatte, aber das war ihm im Augenblick gleichgültig. Hatte man ihm das Geld gegeben, was er als Lohn verdient hätte? Nein. Hatte man Mitleid mit ihm? Nein. Warum also sollte er deshalb Mitleid für irgendwen aufbringen außer für sich selbst?
"M-hm", gab er einsilbig zurück und bewegte leicht seine Lippen, als er die Scheine noch einmal nachzählte. Sicher war sicher, und es konnte ja auch sein, dass der ihn zu verscheißern versuchte.

Zunächst etwas wehleidig sah er, wie sein Geld in die schmutzigen Griffel des Verwalters floss und dieser es genüßlich abzählte.
Aber dann zuckte Scott doch wie für sich selbst mit den Schultern. Es war nur Geld, es war nicht wirklich was von Wert. Keine Erinnerungen, kein tatsächlicher Nutzen außer um sich den Arsch abzuwischen, kein Drama. Es war lediglich ein Tauschmittel, und sobald er seinen eigenen Arsch mehr in Bewegung setzte und hier nicht seine Zeit vergeudete, hatte er bald Neues. Und Garcia - er warf einen Blick über das marode Gelände - konnte es offensichtlich besser gebrauchen als er.
"So." Er wartete ab, bis Garcia seine Nachzählaktion beendete und grinste ihn unbetroffen an: "Gibt es sonst noch etwas?"

..., 90, 95, 100. Zufrieden rollte Garcia das Geldscheinbündel zusammen und ließ es in der Cargotasche seiner Hose verschwinden. Ein gutes Geschäft für einen Morgen. Er klopfte innerlich vergnügt gegen den Stoff, unter dem sich die Rolle nun vor dem Blick anderer versteckte. Seiner Miene war sein Glück jedoch nur wenig anzusehen; wenn überhaupt wirkte es ausdrucksloser als zuvor, die Züge entspannt, die Stirn nicht mehr gerunzelt.
"Wenn du dein Päckchen ein anderes Mal willst, dann nicht." Er zuckte mit den Achseln. Mit ein wenig Glück wollte der Trottel noch nicht einmal eine Quittung oder eine Bescheinigung über seine Genehmigung. Die müsste er ja jetzt umständlich erst noch erfind... ausdrucken. Und den Stempel finden, der das amtlich machte.