Als er eine Weile später seine Kleidung richtete und lächelnd daran dachte, dass er ihren Geruch noch eine ganze Zeitlang mit sich tragen würde, fühlte Eloy sich großartig. Von den Schuldgefühlen und den Sorgen, mit denen er sich auf dem Weg zu Mara herumgeplagt hatte, hatte nichts das kleine Feuerwerk zwischen ihnen überlebt. Er fühlte sich stark, unbesiegbar, voller Tatendrang und beschwingt. Er hätte lachen können, singen.. kochen. Ja, am liebsten hätte er sie jetzt mit zu sich nach Hause genommen, ihr ein Zwei-Gänge-Menü gekocht und ihr die Wahl des Nachtischs überlassen. Aber das war etwas, was nicht im Bereich des Möglichen lag. Nicht hier. "Wir sollten Urlaub machen", seufzte er und griff nach Maras Hand. "Irgendwo hinfahren, wo uns niemand kennt. Vielleicht in eine der großen Städte."
Mara wollte, dass ihre Umarmung gar nicht mehr aufhörte, ließ ihn aber los, damit er seine Kleidung richten konnte. Dass sie ihm die ganze Zeit seelig grinsend dabei zuschaute, merkte sie erst, als er schon fast fertig war. Sie hüpfte vom Tisch und richtete auch ihre Kleidung, schließlich war das hier ihr Arbeitsplatz. Also nicht wirklich, der war auf der anderen Seite der Tür, aber immerhin. Ein ganz kleiner Funke schlechten Gewissens versuchte sich in ihr breitzumachen, doch sie verdrängte ihn sofort wieder. Diesen Moment, diesen Tag würde sie sich nicht kaputtmachen lassen. Wie das heute Abend, wenn sie allein im Bett lag, aussehen würde, war eine ganz andere Sache.
Am liebsten würde sie den ganzen Tag mit Eloy verbringen. Am Strand spazieren gehen, lecker essen, anschließend gemeinsam in einer Hängematte dösen. Sie blickte ihn an, als er ihre Hand ergriff und lachte auf. "Urlaub machen? Tut man das nicht normalerweise in einem Ort wie Atempo?" Sie wusste allerdings genau, wie er das meinte und küsste seinen Handrücken. Natürlich würden sie nicht gemeinsam wegfahren können, aber an unterschiedlichen Tagen vielleicht. Und dann könnten sie sich anderswo treffen und zusammen sein. Das Problem war nur, dass Mara nicht mitten im Schuljahr hier wegkonnte und wenn Ferien waren, war ihr Mann meist in Atempo oder lud sie zu sich ein. Sie würden sich dafür also etwas einfallen lassen müssen. Vielleicht nur ein Wochenende und eine Fortbildung vorschieben? Fragend schaute sie ihn an. "Hast du etwa schon einen Plan?"
Eloy lächelte schwach. Richtig, die Sache mit dem Urlaub hatte den kleinen Haken, dass er ja im Prinzip schon hier im Urlaub war, doch konnte man denn wirklich von Urlaub reden, wenn er doch beinahe jeden Tag sein eigenes Essen fischte oder erntete? "Ehrlich gestanden", mit verschmitzt funkelnden Augen strich er ihr eine Strähne aus der Stirn und beugte sich vor, um die kleinen Schweißperlen, die dort entstanden waren, zärtlich fortzuküssen, "ehrlich gestanden ist das schon mein ganzer Plan gewesen." Zumal ja auch die Gefahr bestanden hatte, dass sie das gar nicht wollte - eine sehr kleine Gefahr, aber immerhin eine Gefahr. "Es würde dir also gefallen?"
Sie schloss die Augen, als er sich zu ihr herabbeugte und sie seine Lippen auf ihrer Stirn spürte. "Hm..." Sie gab ein Geräusch des Überlegens von sich und kniff grüblerisch die Augen zusammen, als er sich wieder aufrichtete. Dann schlug sie ihn mit der freien Hand spielerisch leicht gegen die Schulter und lachte ihn offen an. "Natürlich würde mir das gefallen. Wieso fragst du?" Einige Tage - selbst wenn es nur einer oder zwei waren - ohne die bekannten Gesichter, die sich sicherlich irgendwann fragen würden, was genau Eloy und sie verband. Das klang sehr verlockend. Vielleicht sollte sie wirklich mal näher über eine gewisse erfundene Fortbildungsveranstaltung nachdenken.
Er lachte zur Antwort, denn zugeben, dass er es gern hörte und auch einfach hatte sichergehen wollen, war ihm dann doch zu peinlich. "Wenn wir es beide wollen, dann finden wir auch eine Möglichkeit." Er spürte einen Tatendrang, der ihm meist fremd war, und grinsend deutete er auf den Computer. Es war doch ein glücklicher Zufallen, dass sie gleich einen Internetanschluss in der Nähe hatten, wo sie auf das Thema kamen. "Wollen wir gleich mal nachsehen, was so frei ist? Wo würdest du gern hinfahren?"
Im Paradies zu wohnen und gefragt zu werden, wohin man in den Urlaub fahren möchte... Das war definitiv nicht alltäglich. Um genau zu sein, kam Mara alles hier täglich wie ein unendlicher Urlaub vor. Gut, sie arbeitete hier natürlich auch und nicht zu knapp. Aber da ihr das Zusammensein mit Kindern und das Unterrichten schon immer gelegen hatte, kam ihr das im Grunde nie wie Arbeit, sondern immer wie eine bezahlte Berufung vor. Noch dazu, wenn man anschließend vor die Tür treten konnte und das türkisfarbene Meer mit weißem Sandstrand vor sich hatte.
Doch das perfekte Paradies war es tatsächlich nicht. Nicht, solange Eloy und sie sich verstecken mussten und nicht sie selbst sein durften. Sie seufzte. "Schwierig. Auf jeden Fall irgendwohin, wo uns keiner kennt." Sie grinste ihn an. Das war schließlich die Grundintention gewesen. "Vielleicht irgendwo, wo man auch für eine Lehrerfortbildung hinkönnte?" Oder war das eine dumme Idee?
Er ließ ihre Hand los und griff stattdessen nach der Mouse, um durch kurze, ruckartige Bewegungen damit den Bildschirmschoner vom Computermonitor zu vertreiben - bis ihm auffiel, dass der Monitor gar nicht eingeschaltet gewesen war, was er mit einer raschen Bewegung änderte. "Eine Lehrerfortbildung." Anerkennend lächelte er Mara an. Ebenso klug wie schön, das machte sie ja so begehrenswert. "Gibt es so etwas denn nur in bestimmten Städten? Solange es nicht San Palabra wäre, dürfte das wunderbar funktionieren." Denn in San Palabra war ihm die Gefahr zu hoch, Bekannten über den Weg zu laufen - von seiner Frau oder Tochter einmal ganz zu schweigen.
Sie drehte sich so, dass sie auf den Computermonitor schauen konnte und dachte einen Moment nach. "Ich weiß es ehrlich gesagt nicht, aber ich nehme an, dass solche Fortbildungen oder gar Kongresse eher in größeren Orten stattfinden." Sie lehnte sich mit dem Oberschenkel gegen die Tischplatte. "Da wo es auch so große, luxuriöse Hotels gibt." Grinsend schaute sie zu Eloy.
Sicher war sie sich zwar nicht, aber gegen ein Luxushotel hätte sie nichts einzuwenden. Allzu abgehoben sollte es allerdings auch wieder nicht sein, sonst würde ihr Mann noch misstrauisch werden. Vielleicht war das mit der Lehrerfortbildung doch keine so gute Idee. Konnte man sowas nicht immer recht einfach nachprüfen?
Für einen Moment musste er an die Kosten denken, die ein großes, luxuriöses Hotel verursachen würden, ganz zu schweigen von den Reisekosten - und natürlich würde er dort nicht in den Kleidern herumlaufen können, die er hier tagein, tagaus trug. Nun, können natürlich schon: Die Vorstellung, wie ein Bettler oder Tagedieb angesehen zu werden, während er durch die Lobby ging, um sich den Schlüssel fürs Zimmer zu holen, behagte ihm nicht. Natürlich würden diese Kosten ein kleines Loch in seine eiserne Reserve reißen. Unter Umständen konnten sie ihn sogar zwingen, noch einmal für ein paar Monate nach San Palabra zu ziehen. Andererseits mussten sie es ja nicht gleich übertreiben, und waren ein paar Tage mit Mara, an denen sie sich nicht verstecken mussten, es nicht auch wert? "Das dürfte in so gut wie jeder der großen Städte sein", erwiderte Eloy grinsend und beschloss, die Frage nach der Finanzierung auf einen Zeitpunkt nach der Buchung zu verschieben. "Möchtest du lieber in die Berge oder an die Küste?" Primera schied natürlich genauso aus wie San Palabra.
Dass er sich ein Luxushotel vielleicht gar nicht würde leisten können, daran hatte Mara im ersten Moment gar nicht gedacht. Einfach weil sie Urlaub damit verband, wirklich nichts mehr selbst tun zu müssen und das wiederum verband sie mit einem Luxushotel. Doch im Grund war ihr egal, ob das Hotel nun 2 oder 5 Sterne hatte. Hauptsache sie konnte mit Eloy zusammen sein. "Einfach aus dem Grund, dass wir den Strand hier ständig vor unserer Nase haben, würde ich sagen: Berge."
"Okaaaay, also Berge." Eloy biss sich konzentriert auf die Unterlippe, während er den Internetbrowser startete und nach einer Suchmaschine suchte. Berge, das hieß Neu-Argento. Vielleicht konnten sie ein wenig wandern gehen - wenn sie überhaupt aus dem Hotel herauskamen. Eigentlich ging er ja nicht davon aus, dass sie von ihrem Urlaubsort mehr sehen würden als den Weg vom Flughafen zum Hotel, ihre Zimmerwände und den Weg zurück zum Flughafen. Hm, Flughafen.. da tat sich ja gleich das nächste logistische Problem auf. Andererseits auch nicht: Warum sollten sie nicht zufällig dasselbe Flugzeug nehmen oder sich zufällig vom selben Schiff einen Hafen weiter mitnehmen lassen? Und irgendwann auf ihrer Reise würde dann aus zwei Bekannten ein Paar werden. "Und wann? Nächste Woche?" Er sah zu Mara hinauf und grinste. Selbst wenn es nichts wurde mit dem Urlaub - es machte ihm Spaß, es sich auch nur auszumalen.
"Nächste Woche direkt?" Sie schaute ihn überrascht an. Das schien ihr doch sehr bald zu sein. Zu bald um es plausibel zu erklären. "Scheint mir etwas zu früh. Normalerweise werden Fortbildungen doch etwas länger im Voraus angekündigt... oder was auch immer der Grund für meine Abwesenheit nun ist." Sie überlegte. "Frühestens in zwei, drei Wochen denke ich. Und dann? Von Freitag bis Sonntag oder länger?" Und was würde er eigentlich sagen, warum er verreiste? Das hier war doch sein Urlaub... oder sowas ähnliches zumindest. Oder?
Von Freitag bis Sonntag? Das war zweimal mit ihr aufwachen - aber es bedeutete auch, dass sie bei all der Reiserei doch kaum Zeit für einander haben würden. Aber eine längere Abwesenheit würde wohl nur in den Ferien erklärbar sein.. manchmal hasste er ihren Beruf. Seufzend drehte er sich auf dem Computerstuhl zu ihr herum, nahm ihre Hand und lächelte zu ihr hinauf. Sie würden schon einen Weg finden. "Wir müssen ja nichts überstürzen. Überleg du, wie lange du.." Er unterbrach sich, und alarmiert ließ er ihre Hand wieder los, als er meinte, Stimmen zu hören. Kam da jemand? Vielleicht eines der Kinder, das am Wochenende 'mal eben' die eigenen Mails checken wollte? Wie lange waren sie denn eigentlich schon hier drin? "Überleg dir, wieviel Zeit du erklären kannst, und wenn es soweit ist, besuch mich auf dem Feld. Ich werde jeden Abend da sein." Er lächelte sie entschuldigend an, aber so langsam wurde es wirklich Zeit, sich voneiander wieder zu verabschieden, auch wenn es ihm nicht gefiel.
Einige Minuten später verließ Eloy das Schulhaus als erster. Mara würde noch einen Moment bleiben, vielleicht sogar noch etwas von dem erledigen, was sie als Ausrede mitgenommen hatte, damit niemand sie zusammen gehen sah. Eigentlich, überlegte Eloy, war es ja viel auffälliger, verfängliche Situationen zu vermeiden. Wer nicht schuldig war, brauchte sich um den Anschein von Schuld nicht zu kümmern. Er seufzte. Das war doch alles einfach ungerecht.